Ängste, Zwänge, Depressionen: Was sind die Ursachen?

In meiner Praxis bin ich den unterschiedlichsten Menschen begegnet.

  • Der Hausfrau und Mutter, die ein Kind im sechsten Monat verloren hatte und bei mir eine tiefe Trauerphase durchlebte. Sie musste lernen, eine neue Perspektive zu entwickeln und sich in ihrem Leben neu zurecht zu finden.
  • Dem depressiven Reeder, der nach einer wirtschaftlichen Krise mit drohender Insolvenz kaum noch Antrieb hatte, um seinen Alltag zu bewältigen und selbst einfache Entscheidungen nicht mehr treffen konnte.
  • Der tüchtigen Studentin, die alles besonders perfekt machen wollte, aber sich einsam und unzulänglich fühlte. Sie stopfte in Essanfällen viele, viele Nahrungsmittel in sich hinein und erbrach sie absichtlich wieder.
  • Dem Ingenieur, der sich beruflich überfordert hatte und unter einem Burn-Out-Syndrom litt. Er konnte nicht mehr abschalten, fühlte sich kraftlos und wurde nach einigen Monaten arbeitsunfähig, anschließend verließ ihn seine Frau.
  • Und dem Verwaltungsangestellten, der seit einigen Wochen weder S-Bahn noch Busse benutzen konnte, Angst vor Brücken, Tunneln und Fahrstühlen hatte und sich aus Angst vor einem erneuten Angstanfall zu Hause verkroch.

 

Das Wichtigste ist, erst einmal zu verstehen, welche Ursachen die Erkrankung hat. Bei vielen Menschen liegen die Ursachen in der Lebensgeschichte. Ein Elternteil war z.B. alkoholkrank, so dass die ganze Familie unweigerlich davon betroffen war. Oder die Eltern konnten dem Patienten wenig Lob und Anerkennung geben und zogen möglicherweise Geschwister vor. Auch abwesende Elternteile (z.B. durch Trennung oder Tod) hinterlassen ihre Spuren. Manche Eltern können schlecht entspannen und geben das an ihre Kinder weiter. Es müssen aber nicht immer alle Ursachen in der Kindheit liegen. Die heutige Arbeits- und Beziehungswelt schafft viele Strukturen, die für den einzelnen ihre Tücken haben, z.B. die Arbeitsüberlastung in vielen Behörden und Unternehmen, die unverbindliche Beziehungsstruktur und der weit verbreitete Egoismus vieler Menschen.

 

Für viele Menschen ist es zunächst schwierig, sich an eine veränderte Lebenssituation zu gewöhnen, z.B. eine Trennung vom Partner, einen Arbeitsplatzwechsel, den Übergang in die Hausfrauenrolle, oder der Tod von Angehörigen. Ein Patient hatte starke Schuldgefühle und war dienstunfähig, weil sein Bruder sich umgebracht hatte. Er konnte keine Friedhöfe besuchen und die Straße nicht befahren, in der sein Bruder gewohnt hatte.

 

Wenn einige dieser Risikofaktoren zusammen kommen, wird die Verwundbarkeit für das Auftreten einer psychischen Erkrankung erhöht. Die Symptome sind dann ein verständliches Zeichen, dass etwas nicht stimmt. So erstaunlich das klingt, können psychische Erkrankungen manchmal auch eine Lösungsmöglichkeit für die Probleme sein: durch die Angsterkrankung bindet man den Partner stärker an sich, oder man schützt sich mit einer Sucht davor, andere Probleme wahrzunehmen.

 

Allerdings gibt es auch Teufelskreise, die Probleme stabilisieren, auch wenn sie längst nicht mehr nötig wären. So wird Angst fast immer aufrecht erhalten, indem angstbesetzte Situationen gemieden werden.

 

Es ist deshalb sehr wichtig, den Ursachen auf den Grund zu gehen und die Zusammenhänge zu verstehen, damit die psychischen Probleme bewältigt werden können.